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Gesellschaftliche Funktionen der Medien und ihre rechtliche Ausgestaltung

V. Ergebnisse

Die meisten rechtlichen und sozialen Probleme, die mit der Entstehung der Neuen Medien entstanden zu sein scheinen, sind tatsächlich seit langem bekannt; ihre Lösung braucht Kenntnis von den allgemeinen Grundsätzen der Medienbranche und des Medienrechts. Die Neuen Medien bewirken jedoch, daß die quantitativen zu qualitativen Änderungen führen.

Die durch neue Übertragungstechniken, insbesondere Internet, verursachte Kostensenkung und Überwindung der räumlichen Begrenzung haben zur Aufhebung der Monopolstellung der institutionalisierten nationalen Medienbetreiber geführt. Zwei Hauptfolgen davon sind a) Verschmelzung der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit, b) Entstehung der weltweiten Informationsdimension. Jedermann kann Inhalte ins Internet stellen, die dann weltweit abrufbar werden.

Medien spielen – bewußt oder unbewußt – eine wichtige, unter Umständen entscheidende Rolle bei der Meinungsbildung und auf solche Weise auch Willensbildung der Bürger, die in den Staaten mit den demokratisch legitimierenden Eliten das Wahlvolk bilden. Der Widerspruch zwischen dieser öffentlichen Aufgabe der Medien und ihrer Kommerzialisierung ist das altbekannte Dilemma von Henne und Ei: Sollen die Bürger-Konsumenten anspruchsvoller sein und kommerziellen Erfolg nur den hochqualitativen Medienangeboten verschaffen oder die Medien die Bürger erziehen?

Die Entstehung der Klasse der Medienbürger, die Informationen re-/mit- aber auch einfach produzieren, ist ein mögliches Gegengewicht zu der Kommerzialisierung, der Medienkonzentrierung und den Versuchen der Staaten und mancher Berufspolitiker, die Medien auszunützen. Da die praktische Politik, insbesondere in den entwickelten Ländern, einen sehr engen Spielraum besitzt155, beziehen sich die Unterschiede zwischen den meisten parlamentarischen Parteien und der mit ihnen «befreundeten» institutionalisierten Medien nur auf Schmucksachen. Informationelle Selbstbedienung der Gesellschaft kann unter diesen Umständen die einzige Garantie dafür sein, daß alternative Ideen überhaupt zum Ausdruck kommen.

Auf jeden Fall führen die Neuen Medien zur Bereicherung der Medienwelt, sie ersetzen keinesfalls die traditionellen Medien; diese bekommen jedoch einen starken Konkurrenten, der häufig nicht durch zahlreiche Abhängigkeiten156 gebunden und frei im echten Sinne des Wortes ist.

Die grenzüberschreitende Medientätigkeit hat mit dem Internet eine neue, sich auf zahlreiche Gebiete auswirkende Dimension erhalten: eine geistig-wissenschaftliche Dimension der global möglichen Information und Diskussion; eine politische, die Demokratie stabilisierende Dimension durch Verstärkung der pluralen Meinungsbildung in größeren Räumen, besonders Integrationsräumen, durch grenzüberschreitende aktive und passive Information und grenzüberschreitende Mobilisierung politischer Kontrolle; schließlich eine kommerzielle Dimension, die im E-Commerce evident wird.

Die grenzüberschreitende Medientätigkeit kann zu einer Kollision von nationalen und ausländischen Normen führen, insbesondere auf dem Gebiet des Strafrechts und Wirtschaftsrechts. Formen der Lösung von Rechtsproblemen, die aufgrund der grenzüberschreitenden Dimension des Internet entstehen, sind insbesondere die kollisionsrechtliche Lösung, die Rechtsharmonisierung durch völkerrechtliche Abkommen und die Selbstregelung.

Da jeder Betreiber einer Homepage mit oder ohne Absicht Rechtsnormen von einem oder mehreren fremden Staaten verletzt haben und bei passender Gelegenheit (z.B. bei Einreise in den jeweiligen Staat) bestraft werden kann, entsteht objektiver Bedarf an einer grenzüberschreitenden «flächendeckenden» Regelung, deren Normen an alle Bürger gerichtet werden und dem Inhalt nach eigene effektive Anwendung ermöglichen sollen. Diese Regelung kann als Vereinheitlichung der jeweiligen nationalen Normen oder (im weiteren, soziokybernetischen Sinne) als ausreichendes weltweites Informieren aller Interessenten über ihren Inhalt durchgesetzt werden.

Die von den Neuen Medien ermöglichte ständige Auseinandersetzung breiter Volksmassen mit den fremden Verhältnissen, aber auch mit den fremden Ansichten über die eigenen, bedarf mehr rechtlicher Toleranz seitens der nationalen Eliten. Staaten mit wirklich pluralistischen Medien fühlen sich relativ sicher vor Herausforderungen seitens anderer (evtl. sogar feindlicher) Ideologien, dagegen weisen die Staatsordnungen mit rechtlichen Medienbeschränkungen, insbesondere wenn von ihnen intensiver Gebrauch gemacht wird, Unsicherheit der Regierenden und innere Instabilität der jeweiligen Regime auf.

Die Unmöglichkeit einer umfassenden weltweiten Einheitsregelung der Informationsflüsse (sei sie festgestellt worden) darf keinesfalls die Verschärfung und Vermehrung der Verbote oder physische Abschottung verursachen. Eklektik ist jedenfalls besser als falsche, ungerechte Einigung. Wie in der Physik ist der Austausch von Informationen und Gedanken, d.h. auch Denkprozeß selbst, nur dann möglich, wenn sie verschieden sind157.

Es ist sinnvoll, die eigentlich informationellen Prozesse mit rechtlichen Mitteln nur ausnahmsweise zu regeln, insbesondere weil die jeweiligen Vorstellungen vom Guten und Bösen sich sehr stark von einander unterscheiden. Bis sie in Einklang gebracht worden sind, ist die Aufrechterhaltung eines status quo – Moratorium auf Einführung der neuen öffentlich-rechtlichen Vorschriften – wünschenswert.

Dagegen kann die kommerzielle Tätigkeit der Medien Gegenstand der umfassenden Gesetzgebung werden. Ihre weltweite Vereinheitlichung hat besonders gute Chancen, weil die kommerziell orientierten Medien in allen Gesellschaften nach ähnlichen Regeln funktionieren.

 

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